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Das mach ich doch im Schlaf!

Kinder der AWO Kindertagesstätte „Kinderhaus an der Ilse“ in Osterwieck bestimmen über ihr Recht auf Ruhe und Schlafen

Als erste AWO Kindertagesstätte des Landkreises Harz hat das „Kinderhaus an der Ilse“ in Osterwieck die Rechte der Kinder in einer Kinderverfassung gesichert. Am 22. März 2024 wurde diese feierlich im Beisein der pädagogischen Mitarbeiter*innen, Eltern und Kinder, politischen Vertreter*innen, der Geschäftsführung der AWO Kinder- und Jugendhilfe gGmbH, dem AWO Vorstand des AWO Kreisverbandes Harz e.V., sowie Vertreter*innen des AWO Landesverbandes Sachsen-Anhalt verabschiedet.

Im § 10 der Kinderverfassung ist das Schlafen und Ruhen in der Einrichtung geregelt. Hier heißt es:

„Jedes Kind hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob, wann, wie lange, wo und wie es in der Einrichtung schläft.“

Doch wie wird dieses Recht im pädagogischen Alltag eingebunden?

„Ich bin heute nicht müde“, „Und ich möchte nur die Geschichte mit anhören“, „Ich möchte heute schlafen. Darf ich dann neben der Tür liegen, falls ich doch aufstehen möchte?“, „Wer schläft heute noch mit?“ – solche oder ähnliche Aussagen treffen die Kinder der AWO Kindertagesstätte „Kinderhaus an der Ilse“ nahezu täglich, wenn es um die Teilnahme am Mittagsschlaf geht.

Jedes Kind verfügt jeden Tag individuell über das Recht, zu entscheiden, ob es am Mittagsschlaf teilnehmen möchte oder eben nicht. Ein Tag im Kindergarten ist anstrengend, soviel ist klar. Und dennoch scheint es so, als ob die Kinder ohne Rast und Ruhe ihren Alltag bewältigen. Doch stimmt das? Können die Kinder nur zur Ruhe kommen, wenn sie sich am Mittagsschlaf beteiligen? Diese Frage lässt sich klar verneinen. Denn so wie bei uns Erwachsenen ist das Bedürfnis der Kinder nach Ruhe und Schlaf jeden Tag anders zu betrachten. Bedingt durch innere oder äußere Einflüsse ist der Körper und die Psyche im Erschöpfungszustand oder voller Kraft. Wir Erwachsenen haben gelernt, auf unseren Körper zu hören. Wir passen unseren Alltag an, sofern sich eine Überlastung einstellt. Wir verzichten auf den abendlichen Gang ins Fitnessstudio, gehen früher ins Bett als üblich oder legen unsere Beine hoch und genießen ein Glas Wein und ein gutes Buch.

Kinder müssen die Fähigkeit, auf ihr Körpergefühl zu hören erst einmal erlernen. Der Grundstein hierfür wird im AWO „Kinderhaus an der Ilse“ bereits in der Krippe gesetzt. Nun ist klar, dass die Kinder unter 3 Jahren noch nicht zweifelsfrei sagen können, ob sie müde sind oder eben nicht. Hier ist die aufmerksame und am Kind orientierte Beobachtung der pädagogischen Mitarbeiter*innen essentiell zur Bedürfniserfüllung. Sei es ein notwendiger Vormittagsschlaf oder das Schlafen nach dem Mittagessen: jedes Kind wird behutsam seinem Bedürfnis entsprechend in die Ruhezeit begleitet. Unterstützend hierfür wird den Kindern die Möglichkeit gegeben, sich an ihren liebgewonnenen Einschlafbegleiter zu kuscheln. Sei es Nuckel, Kuscheltier oder ein T-Shirt der Eltern, welches ein Gefühl der Behaglichkeit vermittelt.

Auch die Kleinsten der Einrichtung entscheiden über die Dauer ihrer Schlafphase. Wird ein Kind wach, wird es behutsam zu pflegerischen Maßnahmen begleitet und darf dann in die Spielphase übergehen.

Doch auch außerhalb des reinen Mittagsschlafens wird den Kindern die Möglichkeit geboten, sich zurückzuziehen, sich hinzulegen und zu entspannen. Die Raumgestaltung, die mit verschiedenen Nischen und Höhlen, weichen Polstern, Kissen und Decken ausgestattet ist, regt die Kinder dazu an, sich auszuruhen, wenn und wann ihnen danach ist.

Gegenteilig zu den Kindern unter 3 Jahren teilen die Kindergartenkinder sehr deutlich verbal mit, welches Bedürfnis nach Ruhe und Schlafen sie gerade haben. Die Kinder werden dabei auf Augenhöhe von den Erzieher*innen begleitet. Vor Beginn der Mittagsruhezeit werden die Kinder angesprochen.  Sie werden gefragt, wie sie ihren Bedarf nach Ruhe und Schlafen umsetzen möchten. Die Antworten sind dabei von Tag zu Tag sehr vielfältig. Hat ein Kind entschieden, dass es am Mittagsschlaf teilnehmen möchte, so bereitet es selbstständig seinen Schlafplatz vor. Das Kind entscheidet auch, wo es am liebsten liegen möchte. Der Wunsch neben wem findet ebenso Berücksichtigung. Auch kann das Kind selbstständig aufstehen, wenn es ausreichend ausgeschlafen und -geruht ist. Persönliche Einschlafbegleiter können von den Kindern genutzt werden. Auch hier ist es zweitrangig, um was für einen Gegenstand es sich dabei handelt. Das einzige Kriterium: Es darf kein als gefährlich einzustufendes Objekt sein.

Hat ein Kind hingegen entschieden, dass es nicht schlafen möchte, wird dieses von den pädagogischen Mitarbeiter*innen akzeptiert. Eine Ruhezeit gibt es dennoch, denn kein schlafendes Kind soll vom Spiel der anderen Kinder wachgemacht werden. Die Kinder werden dabei von den Fachkräften begleitet. Die Förderung der Rücksichtnahme gegenüber den Kindern mit Schlafbedürfnis wird geschult. Es werden Geschichten gelesen, Traumreisen gestaltet oder Kinderyoga angeboten.

Nicht selten nehmen die pädagogischen Mitarbeiter*innen wahr, dass sich das Bedürfnis nach Ruhe und Schlafen im Laufe des Tages wandelt. Wird ein solches Verhalten beobachtet, gehen die Erzieher*innen mit dem jeweiligen Kind ins Gespräch. Das Angebot, sich hinzulegen wird unterbreitet und oftmals auch angenommen.

Auch von den Eltern werden die Erschöpfungssymptome ihrer Kinder gespiegelt. Diese werden wiederum von den pädagogischen Fachkräften aufgegriffen. Doch das Recht, selbst zu entscheiden besteht weiterhin. Kein Kind wird zum Schlafen gelegt, wenn es nicht dessen ausdrücklicher Wunsch ist. Andersherum wird aber auch kein Kind vom Schlafen abgehalten, wenn es entgegen des Bedürfnisses des Kindes spricht. Dieser Prozess gehört vielmehr zum Lernergebnis der Kinder dazu, auf ihren eigenen Körper zu achten.

Wie auch im Bereich der Kinder unter 3 Jahren regt die Raumgestaltung die Kinder zum selbstständigen Ruhen an. Kleine Nebenräume schaffen Orte des Rückzugs und der Entspannung. Den Kindern steht Material zum Höhlenbau, kindlichen Lesen und Entspannen zur Verfügung.

Nach und nach entwickeln die Kinder ein Gefühl für ihren Körper. Sie lernen sich selbst zu regulieren und haben Vertrauen in ihre ganz persönlichen Fähigkeiten.

Stephanie Müller, Einrichtungsleitung AWO Kindertagesstätte „Kinderhaus an der Ilse“

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